Es gibt Sportler, es gibt Extremsportler und dann gibt es noch Lukas Irmler und Friedi Kühne. Ihr denkt ihr habt schon alles gesehen? Was können die beiden schon gemacht haben, das es in der Art noch nicht gab? Nichts Geringeres als extremen Sport ganz neu zu definieren und einen neuen Weltrekord aufzustellen. Die höchste Slackline, die je über Grund gelaufen wurde. Und das zwischen zwei Heißluftballons.
Ein Tag voller Hoffen und Bangen
8:00 Uhr früh. Alle sitzen zusammen und beraten sich. Schon zwei Mal musste dieser Tag wetterbedingt verschoben werden. Für heute waren strahlender Sonnenschein, kein Wind, kein Frost angekündigt. Und so sitzt das Team am Frühstückstisch des Hotels in Tinning bei Rosenheim. Allerdings unter einer dichten Wolkendecke und von Nebel umgeben. Es ist die letzte Möglichkeit den Weltrekord zu holen. Monatelang wurde auf diesen Tag hingearbeitet, aber auch heute stehen plötzlich wieder alle Zeichen auf Abbruch. Trübsal macht sich breit, der Weltrekordversuch steht kurz davor fehlzuschlagen, bevor er überhaupt richtig angefangen hat. Aber dann der Lichtblick. Der Wetterbericht verspricht ab 12 Uhr verziehe sich der Nebel und die Wolkendecke breche auf. Ein Hoffnungsschimmer, der meteorologische Strohhalm, an den sich jetzt alle klammern.
12:17 Uhr. Mehr als vier Stunden sind vergangen, aber das Warten hat sich gelohnt. Mit etwas Verspätung klärt sich der Himmel allmählich auf. Ein Wagen fährt vor. Lukas Irmler und Friedi Kühne steigen aus, begleitet von ihren Partnerinnen Antonia und Homa – ebenfalls erfahrene Slacklinerinnen. Der Aufbau kann beginnen. Das muss er, sonst schließt sich das Fenster wieder, wenn gegen Nachmittag der abendliche Nebel aufzieht. Das gesamte rund 40-köpfige Team packt mit an, die beiden gigantischen Heißluftballons aufzubauen. Einer von ihnen wurde nur für diesen Tag angefertigt. In großen Lettern ziert die Aufschrift Jochen Schweizer seine Oberfläche. Die Extremsportler wärmen sich auf. Ein letzter Blick aufs Wetter und es kann losgehen.
Ein Weltrekordversuch am seidenen Faden
Noch am Boden wird die Slackline zwischen den Körben der beiden Heißluftballons gespannt. Die beiden Weltrekordanwärter sind sichtlich aufgeregt. Nicht zuletzt wegen der nicht optimalen Wetterbedingungen. Warum sie sich das überhaupt alles antun, möchte ich wissen. “Wenn wir es nicht tun, tut’s vielleicht noch irgendein anderer Depp.”, antwortet Friedi und lächelt. Lukas steht neben ihm und lacht. Kurz darauf stehen beide je in einem Korb der zwei Heißluftballons und die Piloten geben sich ein Signal über Funk. Mit brüllendem Lärm der Gasbrenner heben wir ab. Es dauert nicht lange, da erreichen wir die Wolkendecke, die sich bis zu diesem Zeitpunkt noch nicht aufgelöst hat. Als wir sie durchfahren, scheint sich uns ein Tor zu einer anderen Welt zu öffnen. Unter uns liegt ein grauer Tag, durch den sich einige Sonnenstrahlen kämpfen. Jetzt erscheint die Wolkendecke wie ein Boden aus Watte. Nur die Alpen ragen aus ihr hervor und liegen uns zu Füßen. Blauer Himmel und strahlender Sonnenschein, der uns wärmt. Über den Wolken scheint die Freiheit am Ende also wirklich grenzenlos zu sein.
Plötzlich wandern die Bergspitzen von unserer linken auf unsere rechte Seite. “Wir fangen an uns zu drehen!”, ruft Pilot Thomas uns zu. Über Funk signalisiert er dem Piloten des anderen Ballons trotzdem weiter steigen zu wollen. Das tun sie. Doch je weiter wir steigen, desto schneller drehen wir uns. Die Lage spitzt sich zu. Was passiert hier? Wie wir später erfahren, etwas nicht ganz Unbedenkliches. Dafür aber sehr Seltenes. Immerhin kommt es nicht oft vor, dass zwei Heißluftballons durch eine Slackline verbunden sind. Hier wirken Kräfte, die auf einen einzelnen Heißluftballon nicht wirken. Es ist unmöglich beide Ballons beim Aufstieg permanent auf einer Höhe zu halten, alleine schon, weil sie unterschiedlich groß sind. Dabei kann es passieren, dass sie in unterschiedliche Windschichtungen geraten und so in zwei verschiedene Richtungen getrieben werden. Durch die Verbindung beider Ballons entsteht eine Unruhe und sie beginnen sich um ihre eigene Achse zu drehen. Was im Freizeitpark eine beliebte Attaktion ist, ist hier ein echtes Problem. Als die Piloten kurz davor sind die Line zu lösen und den gesamten Stunt abzubrechen, kommen die beiden Athleten auf eine Idee. Sie ziehen aus beiden Ballons im gleichen Moment an der Slackline, um den Fliehkräften entgegenzuwirken. Ein erster Versuch schlägt fehl. Ein zweiter ebenfalls. Erst der dritte zeigt Erfolg. Wir drehen uns deutlich langsamer. Ein vierter Zug an der Slackline. Diesmal helfen alle in den Körben mit. Tauziehen in über 2000 Metern Höhe. 3, 2, 1, ZIEHT! Und tatsächlich stehen plötzlich beide Ballons still. Es wird gejubelt und geklatscht. Doch das hält nicht lange an. Denn alle wissen: Jetzt wird es ernst!
Die höchste Slackline der Welt
Lukas ist als erstes an der Reihe. Eine letzte Umarmung seiner Freundin, ein letzter Blick in die Runde und schon schwingt er sich mit einer gekonnten Bewegung auf die Slackline. Dort bleibt er kurz sitzen und hält inne. Er atmet einmal tief durch und steht auf. Der erste Schritt nach vorne. Dann zieht er den zweiten Fuß nach, doch als er ihn aufsetzt, rutscht er weg. Er kann sich nicht fangen und fällt in 2500 Metern Höhe von der Line. Er würde in die Tiefe fallen, wäre er nicht mit einem Gurt an einem Sicherheitsseil unterhalb der Slackline gesichert. An dieser hängt er jetzt, lässt sich aber nicht entmutigen. Den Bruchteil einer Sekunde später sitzt er schon wieder aufrecht auf dem Seil und schwingt sich erneut nach oben. Lukas ist sichtlich aufgeregt. Was gerade passiert ist, zeigt ihm, dass dieser Stunt etwas anders ist, als alles was er jemals getan hat. Aber er hat sich nicht umsonst monatelang auf diesen einen Tag vorbereitet.
Und so steht er erneut auf und setzt einen Fuß vor den anderen. Er lässt immer mehr Strecke hinter sich, der Heißluftballon vor ihm rückt in greifbare Nähe. Unter ihm endlose Leere. Die Insassen der zwei Körbe halten allesamt die Luft an. Und plötzlich: Lautes Gejubel von beiden Seiten, tosender Applaus. Lukas hat es geschafft! Er ist ohne Unterbrechung vom einen Ballon zu dem anderen gegangen. Ein unbeschreibliches Gefühl. Doch das ist nur die Hälfte der heutigen Agenda. Friedi hat die Strecke noch vor sich. Doch auch er hat die letzten Monate nur für diesen Tag, diesen einen Moment, trainiert. Diese Willenskraft steht ihm ins Gesicht geschrieben. Und so schwingt auch er sich mit einer leichtfälligen Bewegung auf die Slackline. Er steht auf und fängt an über die Line zu gehen. Der Gurt schwankt gefährlich unter dem Gewicht seines Körpers, die Ballons fangen an sich zu bewegen. Die Spannung ist greifbar. Und trotzdem hat man den Eindruck, die Höhe mache ihm überhaupt nichts aus. Als wäre es nichts anderes als beim Aufwärmen eine Stunde zuvor zwischen zwei Bäumen im Garten – einen halben Meter über dem Boden. Kurz bevor Friedi den Ballon erreicht, verliert er die Balance. Lukas steht zwei Meter vor ihm im Korb und feuert ihn an. Genau diesen Push scheint Friedi in diesem Moment zu brauchen. Er schafft es sich zu fangen, macht die letzten zwei Schritte und ist am gegenüberliegenden Ballon angekommen. Lukas zieht ihn zu sich in den Korb und die beiden fallen sich schreiend, mit Tränen in den Augen in die Arme.
Jaaaaa! Wir haben es geschafft! Wir haben es beide geschafft, man!
Was für ein unglaubliches Gefühl! Nach monatelanger Vorbereitung und mehrfachem Verschieben haben die beiden es endlich geschafft. Die Erleichterung ist den beiden ins Gesicht geschrieben. Aber, seht doch einfach selbst:
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Lukas Irmler und Friedi Kühne sind die neuen Weltrekordhalter für die höchste Slackline, die je über Grund gelaufen wurde. 2500 Meter über Grund. Damit knacken sie den bisherigen Rekord aus Brasilien. Der lag bei 1900 Metern.
Höhenrausch kommt vor dem freien Fall
Nachdem sich die erste Anspannung in Luft aufgelöst hat, überqueren die beiden Extremsportler nochmals die Slackline. Dieses Mal macht Lukas ein paar Tricks, wie einen Spagat. Friedi brennt dagegen noch etwas ganz anderes unter den Nägeln. Er löst seinen Sicherheitsgurt vom Körper und schnallt sich dafür einen Fallschirm auf den Rücken. Ungesichert steigt er jetzt auf das Seil. Man sieht ihm die Aufregung an und trotzdem schafft er es in einem Zug zum anderen Ballon zu balancieren. Wer denkt, jetzt hat er genug, kennt Friedi Kühne nicht. Er geht ein weiteres Mal ein paar Schritte nach vorne. Als er die Mitte erreicht, scheint für einen kurzen Moment die Zeit stillzustehen. Kein Wind, kein Mucks, als ob selbst die Natur gespannt zuschaut. Und dann – ein Lächeln. Mit einem kleinen Sprung löst er sich von der Slackline und die Leere unter ihm saugt ihn förmlich hinab. Die Sekunden dehnen sich, als er mit ausgestreckten Armen in den freien Fall gleitet. Kurz bevor er durch die Wolkendecke fällt, öffnet sich sein Fallschirm. Auch dieser letzter Stunt war erfolgreich.
Zum Abschluss wagen sich auch Friedis Frau Homa und Lukas Freundin Antonia auf die Slackline. Diese Chance kann man sich doch nicht entgehen lassen! Als die beiden sicher zurück im Korb sind, geben sich die Piloten das Signal allmählich das Sinkmanöver einzuleiten. Die Slackline wird gekappt und wir bewegen uns mit 5 Metern pro Sekunde zurück in Richtung Erde. Als wir unter die Wolken sinken, merken wir, dass der Wind etwas an Fahrt aufgenommen hat. Wir fliegen über ein Dorf, feuern die Fußballer des unter uns stattfindenden B-Jugend-Spiels an, als wir über ihre Köpfe hinwegschweben und landen dann sicher auf einem Acker fünf Kilometer westlich vom Startpunkt entfernt.
Hier werden die beiden Slackliner erstmal von allen gefeiert. Sekt für alle, jetzt wird erstmal angestoßen. Nachdem Lukas Irmler und Friedi Kühne diesen selbst für Extremsport exremen Weltrekord aufgestellt haben, möchte ich natürlich wissen, was als nächstes ansteht? “Meine Frau wollte morgen eigentlich Fallschirm springen gehen. Aber ich glaube damit setzen wir mal für einen Tag aus.” Friedi lächelt und nimmt zusammen mit Lukas einen Teil des zusammengefalteten Jochen Schweizer-Heißluftballons auf die Schulter, um dem Team beim Zusammenpacken zu helfen.
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